Schreiben kann man auf vielerlei Arten. Man kann Tagebuchschreiben, damit man sich Jahre später anhand des Geschriebenen an das Erlebte erinnert. Man kann schreiben, um Fantasien auf Papier lebendig werden zu lassen. Oder man kann das Schreiben therapeutisch nutzen.

Catherine Millet, die Autorin des skandalträchtigen Werks Das sexuelle Leben der Catherine M. antwortet der Süddeutschen Zeitung auf die Frage, ob schreiben entlastet: »Ja. Weil es von altem Ballast befreit. Nachdem ich mein erstes Buch veröffentlicht habe, fiel mir auf, dass die Erinnerungen, die ich darin verschriftet hatte, sich mit dem Schreiben aufgelöst hatten. Eine herrliche Erfahrung, diesen ganzen Vergangenheitsballast loszuwerden, indem man ihn auslagert in Texte.«

Seit Jahr und Tag nutzen Menschen das Schreiben, um sich von Belastendem zu befreien. Anne Rice verlor ihr Kind an Leukämie. In ihrem Buch Interview mit einem Vampir lässt sie ihre Tochter als Vampirin weiterleben, damit sie nie sterben würde.

Horrorexperte Stephen King litt als Kind unter Entzündungen im Ohr. Der Arzt wollte sein Trommelfell punktieren und versprach, dass es nicht wehtun würde. Darauf folgten die für King schlimmsten und beängstigendsten Minuten seines Lebens. Ohnmacht und Schmerz sind seither die zentralen Themen seiner Bücher.

John Grisham, Autor für Justizthriller, verfolgte als Rechtsanwalt ein Gerichtsverfahren. Der Täter hatte von einem zwölfjährigen Mädchen erst abgelassen, als er es für tot hielt. Dies weckte in Grisham – selbst Vater von Kindern – den Impuls, den Vergewaltiger in einem unbeobachteten Moment zu ermorden. Dies war die Idee zu Die Jury, im Original A Time to Kill betitelt.

Etwas in Worte zu fassen, um es für sich selbst verständlich und verdaulich zu machen, ist keineswegs eine neue Idee. Schon Heinrich von Kleist schrieb 1805: »Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen …« Kleist hatte über einer algebraischen Aufgabe gebrütet, war aber zu keiner Lösung gekommen. Im Gespräch mit seiner Schwester fand er dann – zu seiner Überraschung – die Lösung.

Das Reden konkretisiere Gedanken, wobei es nicht ums Wissen gehe, sondern darum, eine »dunkle Vorstellung« zu präzisieren. Man wisse nämlich nicht »per se«, sondern es sei »ein gewisser Zustand unsrer, welcher weiß« – schrieb er in seinem Essay Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden.

Kleists »Entdeckung« – und er war damit sicher nicht der erste, der diese Erfahrung gemacht hat – kann die Hirnforschung heute erklären: Wenn Menschen ihre Empfindungen (die »dunklen Vorstellungen«) in Worte fassen (benennen), wird das Empfundene aus den unbewussten Bereichen ins Bewusstsein gehoben. Das Geahnte bekommt eine greifbare Gestalt, denn vieles von dem, was wir erlebt haben, aber für uns nicht mehr greifbar ist, lässt sich im sogenannten Zellgedächtnis des Körpers wieder auffinden. Jetzt kann es eingeordnet, zugeordnet, zerlegt, infrage gestellt und neu zusammengesetzt werden. Auf diesen wissenschaftlichen Fakten baut das Heilscheiben auf.

Schreiben hat die Gesellschaft »massiv verändert«, behauptet Ewa Dutkiewicz, eine Archäologin, die an der Universität Tübingen über die ersten Schriftstücke der Menschheit forscht. Philosoph Jacques Derrida formulierte Ende der sechziger Jahre bereits die radikale These, dass es ohne das Schreiben gar kein Denken gebe. Schrift sei nicht nur Ausdruck des Gedachten, sondern gehe ihm voraus.

Nietzsche tippte Ende des 19. Jahrhunderts in seine Schreibmaschine: »Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.« Studierende des Studiengangs Kreatives Schreiben an der Universität Hildesheim wurden untersucht. Neurologe Martin Lotze von der Universität Greifswald stellt fest, dass »ihre Gehirnaktivitäten sowohl anders vernetzt als auch effizienter waren.«

Wie geht Heilschreiben?

Man erträgt die stets ums Selbe kreisenden Gedanken, man lässt sich von wiederkehrenden, scheinbar unbegründeten Gefühlen an der Nase herumführen, »dunkle Vorstellungen« irritieren und färben das tägliche Erleben auf eine Art und Weise ein, die wir als störend, beengend oder gar schädigend empfinden. Deshalb versuchen wir, sie loszuwerden, uns davon abzulenken, sie zu übertönen. Im Heilschreiben dagegen erkennt man diese kreisenden Gedanken und scheinbar unbegründeten Gefühle als Echo unverarbeiteter und verdrängter Erfahrungen. Anstatt sie loswerden zu wollen, wendet man sich ihnen zu, nimmt sie ernst und erforscht sie.

Im Heilschreiben können Sie sich ganz konkreten, unverarbeiteten überfordernden Erfahrungen widmen. »Als mich meine Eltern ins Heim abgeschoben haben …« oder »Als meine Mutter viel zu früh gestorben ist …« Oder ich kann Herzenswünsche erforschen: Was passiert in Ihnen, wenn Sie sich vorstellen, eine liebevolle wertschätzende Beziehung zu führen? Oder Sie wenden sich essentiellen Themen zu: Was passiert in Ihnen, wenn Sie sich der Themen »persönliche Sicherheit«, »Mut« oder »Verletzlichkeit« schreibend annehmen?

Sie können über Ihren Beruf, über Geld, Sex, Ihre Eltern, Lebensträume schreiben. Wichtig dabei ist zweierlei: Erstens, dass Sie dabei immer mit einem Fuß im Hier und Jetzt bleiben, also aus dem Erwachsenenbewusstsein heraus die aktuellen Erfahrungen betrachten und niederschreiben, anstatt in eine Kindbewusstsein abzurutschen. Zweitens, dass Sie während des Schreibens gleichzeitig die Veränderungen in Ihrem Organismus wahrnehmen und ebenfalls dokumentiert. Es kann sein, dass dabei Bilder auftauchen, Empfindungen, Erinnerungen, Stimmungen, dass Sie Urteile in sich wahrnehmen oder Gefühle auftauchen – ganz gleich, was geschieht, alles gehört dazu. 

Eine Kurzanleitung für das Heilschreiben können Sie sich hier herunterladen.

Kurzanleitung Heilschreiben

StephanKNiederwieser_Heilschreiben_KurzanleitungHerunterladen

Um Veränderungen durch das Schreiben wahrzunehmen, ist es wichtig, in guten Kontakt zu sich selbst zu gehen. Deshalb ist es sinnvoll, sich vor dem Heilschreiben kurz einzustimmen. Einfache Anleitungen finden Sie hier.

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