Sie Fragen sich vielleicht: Wie kriegen wir das eigentlich hin, diese Spaltung, dieses Abschneiden von vitalen Bedürfnissen? Ganz einfach, mit Hilfe von Scham. Scham ist aber kein Gefühl, es ist auch kein Ding, kein Gegenstand, kein Inner Kritiker, Über-Ich oder Wächter wie es gerne genannt wird. Scham ist ein Prozess, etwas, das wir aktiv tun. Ja, meist unbewusst, aber dennoch. Und auch das ist eine gute Nachricht. Dazu gleich mehr.
Scham, wie die deutsche Grammatik nahelegt, ist reflexiv, »Ich schäme MICH!« Hier ein kleines Experiment. Nehmen Sie sich eine Sache vor, für die sie sich schämen. Ihren Körper, Ihren Intellekt, Ihren Status, Ihre Fähigkeiten, irgendwas. Wenn Sie daran denken, was erzählen Sie sich darüber? »Ich bin zu dick«, »Ich bin nicht klug genug«, »Wer will schon mit jemand zu tun haben, der aus armen Verhältnissen kommt«, »Das kriege ich nie hin …« Sehen Sie, Sie machen das ganz allein, Sie brauchen niemandem im Außen, der Ihnen das erzählt.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Falls Sie sich jetzt sagen, es sei Ihre Schuld sich zu schämen, dann ist das nur eine weitere Form der Selbstbeschämung. Stellen Sie das ruhig mal zur Seite und werden Sie neugierig darauf, wofür das eigentlich gut ist. Wofür ist es sinnvoll, hart mit sich ins Gericht zu gehen, sich zu beschimpfen, herabzuwürdigen, abzukanzeln? Und sagen Sie jetzt nicht, dass es nicht sinnvoll ist. Glauben Sie mir, es hat einen tiefen, einen sehr, sehr tiefen Sinn.